Fotografieren aus der Froschperspektive | fotomagazin.de

2022-12-07 17:43:09 By : Ms. Lin Jenny

Die Untersicht oder Froschperspektive verschiebt viel mehr als nur den Horizont – sie verändert die Sicht auf das fotografierte Motiv. Wir zeigen, welche Wirkung die Froschperspektive hat und geben Tipps und Tricks, mit denen Fotos von unten gelingen.

Schon in der Grundschule lernen die Kinder die drei großen Perspektiven auf die Welt kennen: Neben der „gewöhnlichen“ Augenperspektive beziehungsweise Normalperspektive die erhöhte Vogelperspektive und die Sicht von unten – die Froschperspektive. Dabei kennen die Kinder gerade letztere Perspektive nur zu gut: Sie leben in einer ständigen Sicht von unten auf die „Großen“ und sehen die Welt ganz anders als sie es später als Erwachsene tun.

Bei der Froschperspektive spricht man in der Fotografie präziser noch von der Untersicht: Sie macht den Betrachter klein, die Motive werden groß. Zumindest relativ. Zwar hat die Untersicht fotografisch gesehen noch einige andere Überraschungen parat, aber das Grund­thema ist immer gleich und muss beim Fotografieren bedacht werden. Die Stärke dieser optischen Größenverschiebung wird durch den Höhenunterschied zwischen Kamera (Betrachter) und Hauptmotiv bestimmt. Bei dem gezeigten schwarzweiß Foto aus Havanna ging der Fotograf nur in  die Knie – die eher moderate Untersicht lässt zwar das historische Fahrzeug und die Personen etwas größer erscheinen, bleibt aber noch fast natürlich. Anders dagegen die eher kräftige Untersicht bei den Fotos zu den Themenbereichen „Architektur“, „Erotikportrait“ oder „Reportage“.  

Bei fast allen Gegenlichtsituationen gilt: Die Froschperspektive ist ein guter Weg, die Vordergrundobjekte vor das Licht zu bekommen und so im extremen Gegenlicht abbilden zu können. Die Schatten werden durch den spitzen Winkel zur Oberfläche zwar etwas gestaucht, aber dafür werden die Reflexionen des Gegenlichts stärker und arbeiten die Schatten so stärker heraus. Wie immer beim Gegenlicht ist die richtige Belichtung wichtig (und schwierig). Machen Sie am besten eine Belichtungsreihe.

KAMERA: Canon EOS 5D Mark II | Objektiv: EF 2,8/24-70mm | Belnde: f/13

Streng genommen erfordert die Untersicht immer zwei Aspekte bei der Kameraausrichtung: einen Standort unterhalb der Mitte des Hauptmotivs und das Neigen der Blickrichtung nach oben. Intuitiv wird man dies auch meist so halten. Die Horizontlinie wandert dann nach unten. Mit allen Konsequenzen: Der Untergrund wird nebensächlich, alles oberhalb der Horizontlinie dominiert das Foto.

Die Perspektive ist ein wichtiges Mittel der Bildgestaltung. Mehr zum Thema Bildgestaltung gibt es auch hier.

Fotografieren Sie draußen, haben Sie oft ein Problem bei der Belichtung: Das Hauptmotiv steht vor dem (meist hellen) Himmel. Lösen lässt sich das mit den Mitteln, die man auch sonst bei kontrast­reichen Motiven anwendet: Ausgewogene Belichtung, Belichtungsreihe, HDR erstellen oder einen Reflektor oder Blitz zum Aufhellen einsetzen. Letzteres erfordert einen von der Kamera losgelösten Blitz, da das von unten kommende Licht schnell sehr unnatürlich wirken kann. Haben Sie die Wahl und können eine eher lange Brennweite wählen, so lässt sich auch der Hintergrund so positionieren, dass der Himmel eine geringere Rolle spielt.

Auch die Brennweite (eigentlich der Abbildungsmaßstab, aber in der Praxis entscheidet man über diesen mit dem Einsatz der Brennweite) beeinflusst die Stärke des Effekts der Froschperspektive: Bin ich weitwinklig unterwegs und daher eher nah dran am Motiv, so steigt die perspektivische Verzerrung – und in der Froschperspektive werden die unteren, nah an der Kamera befindlichen Motivteile stark vergrößert. Daher sollten Sie – wenn Sie schon Portraits aus der Untersicht machen – eine möglichst lange Brennweite wählen, um nicht die Beine unnötig länger und dicker werden zu lassen. In der Architektur werden die typischen stürzenden Linien eher noch weiter verstärkt – aber hier entsteht die Untersicht durch die hohen Gebäude fast zwangsläufig. 

Im Größenvergleich zu den Bauten der Architektur ist der Fotograf sowieso ein „Frosch“. Begibt er sich bewusst in die Froschperspektive, so wird das Problem der stürzenden Linien in der Regel noch größer. Sinn ergibt die Untersicht da, wo noch kleinere Objekte in das Bild aufgenommen werden – Menschen etwa. Dann lassen sie sich über die Froschperspektive und ein Weitwinkel mit dem eigentlich sehr großen architektonischen Hintergrund verbinden.

KAMERA: Canon EOS 5D Mark III | Objektiv: EF 4/17-40 mm | Blende: f/4

Beim Erotikportrait ist die Untersicht ein gutes Mittel, Aspekte von Verführung und von Dominanz in das Bild zu bringen. Um die bei einem „normalen" Portrait erwähnten negativen Aspekte zu vermeiden, kann das Model wie hier in ein Setting eingebettet werden, das die Untersicht unterstützt: Treppen oder andere Erhöhungen, die die Untersicht „natürlich“ wirken lassen. Hier hat der Fotograf das Thema „Verführung“ mit dem sich windenden Treppenhaus und dem roten Kleid noch wirkungsvoll unterstützt.

KAMERA: Canon EOS 6D| Objektiv: EF 2,8/14 mm | Blende: f/5,6

In der Reportage ist die Untersicht ein beliebtes Mittel, um die Umgebung zu integrieren. Vor allem dann, wenn man mit kurzer Brennweite arbeitet und nah an den Protagonisten dran ist. Die Untersicht vermeidet den direkten Augenkontakt mit den Protagonisten, macht sie aber gleichzeitig wichtig.

KAMERA: Nikon D800 | Objektiv: Nikkor AF-S 3,5-4,5/18-35 mm | Blende: f/5,6

Von einer Froschperspektive spricht man bei der Architektur daher eigentlich erst, wenn ein anderes Motiv im Vordergrund dominiert und die Kamera eine Untersicht auf dieses Motiv hat. Dies können Brunnen oder ähnliches im Vordergrund sein; oft aber sind es Menschen.  Und in vielen Fällen verlassen wir dabei das Genre der Architekturfotografie. Das zeigen die Bilder in dieser Strecke („Architektur“, „Erotikportrait“, „Reportage“), die alle Menschen in den Vordergrund und die Architektur in den Hintergrund stellen. Das Schöne bei der Froschperspektive zeigt sich aber bei allen drei Motiven: Sie verbindet jeweils die Personen mit der Architektur. Besonders wichtig ist dies bei Reportagen, die unbedingt eine erkennbare Umgebung benötigen, um den Kontext zu erklären. Daher werden Sie dort oft in leichter Untersicht mit gemäßigtem Weitwinkel arbeiten.

Das Portrait aus der Untersicht bleibt die Ausnahme. Denn bei Kopf- und Brustportraits schaut man in die Nase – oder das Model guckt nach unten und macht ein Doppelkinn. Bei Ganzkörperportraits werden die Beine betont – was natürlich manchmal (wie hier) gewollt ist. Hinzu kommt ein Effekt, den Sie sich gelegentlich auch zunutze machen können: Der oder die Portraitierte wirkt dominant und nicht selten auch überlegen.

KAMERA: Canon EOS 5D Mark III | Objektiv: EF 1,4/50 mm | Blende: f/1,7

Ganz anders bei der Fotografie von Wild- und Haustieren: Hier werden Sie meist mit längerer Brennweite arbeiten und so den Effekt der Untersicht etwas mildern. Es eignen sich in der Regel nur Tiere für eine Untersicht, die wir sonst von oben sehen. Also Pferde und Vögel eher nicht, Hunde (auch große) schon.  Während Sie bei der Wildlife-Fotografie selten die Wahl haben, können Sie Haustiere passend platzieren und auf eine Erhöhung stellen. Je kleiner das Tier im Vergleich zum Menschen, desto interessanter wirkt dabei die Untersicht – einfach, weil das Tier so ungewöhnlich groß wirkt. Oder der Betrachter sich angesichts des riesigen Kaninchens klein fühlt.

Dass man Tiere und so auch Haustiere auf Augenhöhe fotografiert, ist bekannt. Geht man noch etwas darunter, so kann man die Tiere etwas „überhöhen“. Sie wirken dann größer. Aber auch die von den Tieren durchgeführten Sprünge wirken auf den Bildern später deutlich höher, als sie wirklich sind. Für solche Fotos brauchen Sie einen Helfer. Legen Sie sich am besten flach auf den Boden und fokussieren Sie vor. Eine möglichst weit offene Blende hilft bei Froschperspektive, keinen scharf abgebildeten Bereich (außer dem Tier) im Bild zu haben.

KAMERA: Canon EOS 5D Mark IV | Objektiv: EF 2,8/70-200 mm | Blende: f/2,8

Wenn Sie kleine Haustiere in Szene setzen wollen, so suchen Sie sich als erstes eine Erhöhung – nur so können Sie eine Untersicht erreichen. In der Regel entstehen in der Untersicht bessere Fotos als bei direkter Sicht in Augenhöhe, da die Tiere etwas größer wirken. Wichtig ist dabei die Gestaltung des Hintergrunds. Von daher eher eine längere Brennweite einsetzen und die Blende öffnen. Dann wird der Hintergrundausschnitt enger und ein unruhiger Hintergrund unscharf und weich gezeichnet.

KAMERA: Canon EOS 5D Mark IV | Objektiv: EF 2,8/70-200 mm | Blende: f/4

Der Frosch aus der Froschperspektive heraus fotografiert wäre ein Tier auf Augenhöhe – eine Regel, die man wohl immer befolgen wird. Auch wenn dies bei Fröschen selbst anstrengend wird, weil Sie sich mit Ihrer Kamera auf den Boden legen müssen. Soll das Tier jedoch tatsächlich aus der Untersicht fotografiert werden, so können Sie es vorübergehend einfangen und auf eine leichte Erhöhung setzen.

KAMERA: Canon EOS 5D Mark IV | Objektiv: Sigma EX DG 2,8/150 mm Makro | Blende: f/5,6

Pflanzen, Blüten und vor allem Pilze wirken in einer leichten Froschperspektive ganz anders als üblicherweise von oben. Der Mensch taucht so optisch in die Welt der Kleinstlebewesen ein. 

Bei Pilzen kommen auf diese Weise zudem die sonst kaum sichtbaren Unterseiten der Hüte zum Vorschein. Bei Blüten und Pilzen kommt es neben der Perspektive auch auf die Beleuchtung an. In der Regel wird man Kunstlicht nutzen – wenn man die Kamera auf ein Stativ stellt, reicht das Licht von Taschenlampen.

KAMERA: Canon EOS 5D Mark IV | Objektiv: Sigma EX DG 2,8/150 mm Makro | Blende: f/2,8

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Markus Linden hat sein Hobby zum Beruf gemacht: Er schreibt on- und offline über Fotografie und Fotografen, organisiert Fotowettbewerbe und fotografiert selbst leidenschaftlich gerne. Dem fotoMAGAZIN ist er seit 2003 zunächst als Redakteur und jetzt als freier Mitarbeiter verbunden.